Sonntag, 1. Juli 2007

Reise nach Kiew und Odessa. Ein Reisebericht über eine Ukraine Reise

Kiew - Die Mutter der Rus
Am Anfang stand für uns die Frage, ob die Ukraine, deren wenig sagende Übersetzung „Grenzland“ lautet, ein lohnendes Reiseziel ist. Was gibt es zu entdecken? Was bestimmte unsere Interessen?
Zunächst einmal wollten wir einen weißen Fleck auf unserer touristischen Landkarte von Europa mit Eindrücken füllen, zumal die Ukraine ja hinsichtlich Fläche, Bevölkerung und auch Kultur ein politisches Schwergewicht unseres Kontinents darstellt. Die weitaus häufiger von Deutschen bereisten Ziele Ägypten, Mexiko und Australien kennen wir zwar auch nicht, sind aber der Ansicht, daß zunächst einmal der Bereich "vor der Haustür" erkundet werden sollte.
"Wir" - das sind in diesem Fall Vater ( fast 70 Jahre, aber zum Glück sehr rüstig ) und Sohn. Familiäre Wurzeln finden sich durchaus "im Osten", aber an anderer Stelle - in Schlesien, welches heute polnisch ist. Der Großvater ist 1941 vor Leningrad gefallen, durchquerte aber auf dem Marsch dorthin heute eher Weißrussland zuzurechnende Gebiete. Aus diesem Grunde hatten wir auch schon St Petersburg bereist, kannten überdies die baltischen Staaten.
Mein Vater war Soldat bei der Bundeswehr, überwiegend in Schleswig-Holstein, und damit war bis in mein Erwachsenenalter klar, daß familiäre Entdeckungsreisen niemals hinter den "Eisernen Vorhang" gehen würden. Daß diese "verbotene Zone" so plötzlich und selbstverständlich eines Tages für Urlaubsreisen offenstehen würde, ist für mich noch immer ein Wunder und hat meine Wahrnehmung politischer Vorgänge wesentlich verändert. Es schwingt also schon ein bißchen rational wohl nicht ganz erklärbares Interesse "für den Osten Europas" mit. Ausdruck davon sind auch bescheidene, aber auf unserer Ukrainereise sehr hilfreiche Kenntnisse der russischen Sprache.
Unsere Vorbereitungen der Reise bekamen dadurch noch etwas Würze, daß wenige Wochen zuvor, im April und Mai 2007, in der Ukraine Machtfragen noch einmal sehr offen gestellt wurden und dem Lande neuerliche Instabilität drohte - jedenfalls rechneten wir schon mit innerukrainischen Auseinandersetzungen.
Brauchbare Literatur zur Planung der Reise war schwieriger zu erhalten, als ich erwartet hatte, auch wenn man berücksichtigt, daß es sich nicht um ein touristisches Massenziel wie die Provence oder die masurischen Seen handelt. Hier möchte ich besonders ein Buch mit dem etwas provozierenden Titel "Kulturschock Ukraine" (Reise know how-Verlag) hervorheben, welches mit viel Einfühlungsvermögen und auf der Höhe der Zeit den bunten Hintergrund der ukrainischen Vergangenheit und die Vielgestaltigkeit der ukrainischen Gegenwart beleuchtet. Eine Schwäche dieses Buches sind die Darstellungen der großen Städte. Hier ist man wohl am besten beraten, vor Ort einen bildreichen Führer in deutscher Sprache zu besorgen. Dringend empfehle ich überdies, sich mit dem kyrillischen Alphabet vertraut zu machen – Vieles, gerade im öffentlichen Bereich, läßt sich dann ohne weiteres übertragen und verstehen.
In unserem Fall konzentrierte sich die Reise auf die Städte Kiew und Odessa, die größte und die kleinste der immerhin fünf ukrainischen Millionenstädte (neben Charkow, Dnjepropetrowsk und Donezk). Entsprechend ihrem zu erwartenden touristischen Gewicht hatten wir dabei der Hauptstadt fünf und der „Schwarzmeerperle“ drei Tage zugemessen, eine Lösung, die auf die uns zur Verfügung stehende Zeit von insgesamt acht Tagen zurückzuführen war. Hätten wir länger bleiben können, wäre sicher der „Klassiker“ einer etwa 2 wöchigen Dnjepr-Schiffsfahrt von Kiew nach Odessa in Betracht gekommen. Aber kaum wohl hätte uns auf einem solchen Flußkreuzschiff so viel quirliges und mitreißendes Großstadtleben erreicht wie bei unserer Variante, die 600 km mit der Bahn zurückzulegen.
Dankbar sind wir dem im Internet aufgestöberten Reisebüroteam von Dreizackreisen um Herrn Alexander Jolivet, mit dem ich im Vorfeld zahlreiche Telefonate geführt habe und der geduldig spezielle Wünsche unserer Reiseplanung aufnahm. Wir legten dabei besonderen Wert auf die für uns angemessene Mischung aus vorgeplanter und individueller Gestaltung : Wir verstehen darunter die geführte Pflichttour durch die wesentlichen Kirchen, aber bitte auch Besuch der wichtigen Theater und unbedingt das Baden im Dnjepr sowie im Schwarzen Meer ….
1.Tag
Unser Ausgangsflughafen war Hamburg, und die bequemen Maschinen der ungarischen Fluglinie Malev trugen uns per Gabelflug mit Zwischenlandung in Budapest nach Kiew bzw. am Reiseende von Odessa zurück in Deutschlands Norden. Nach Abholung am Flughafen von Kiew durch die ortsansässige Reiseleitung bezogen wir zunächst Quartier im Hotel „Ukraina“. Bis vor wenigen Jahren hatte es noch Hotel „Moskau“ geheißen, und in der Tat entfalteten sich in ihm Reste des rustikalen Sowjet-Charmes. Jedenfalls lag unser Hotel Ukraina/Moskau ideal im Zentrum der Stadt, direkt am Majdan, dem Platz der Orangenen Revolution 2004. Zahlreiche Unterführungen im Bereich des Majdan erlauben einem die Überquerung teilweise extrem befahrener Straßen, so auch des nah gelegenen Chreschtschatyk, der wichtigsten Einkaufstraße Kiews.
An diesem ersten Abend folgten wir einer kulinarischen Empfehlung, der wohl eine Einschätzung von uns zu Grunde lag, wir brauchten um uns Folklore und überbordende Dekoration. So landeten wir auf einem zum Restaurant umgebauten Dnjepr-Schiff, aßen zwar gut, aber auch zu stolzen Preisen und beschlossen fortan, uns eher auf unseren eigenen gastronomischen Instinkt zu verlassen, was wir während der Reise nicht bereut haben.
Der Unabhängigkeitsplatz im Herzen Kiews
2. Tag
Im Mittelpunkt dieses Tages stand die von Dreizackreisen angebotene deutschsprachige Stadtführung. Wir wurden von Larissa empfangen, die uns gleich eine Tour über 5 Stunden ankündigte. In der beleibten Larissa verbanden sich berufliche Professionalität, Selbstironie, starke Wurzeln in der sowjetischen Vergangenheit und Mutterwitz zu einer interessanten Persönlichkeit, die es verstand, das touristische Pflichtprogramm mit Anekdoten eingängig zu gestalten:
Der Schwerpunkt der Tour lag auf den wichtigen Kirchenbauten Kiews, auf die ich mich in meiner Darstellung beschränken möchte. Dies waren in der Reihenfolge ihrer Besichtigung: Das St- Michaelskloster, aus dem 12. Jahrhundert, unter Stalin 1937 abgerissen und jüngst wiedererbaut – ein gewaltiges Zeugnis des Aufbauwillens, welches in unserem Lande nicht ausreichend beachte wurde. Dann die am Kiewer „Montmartre“, dem Andreashang, gelegene 1750 von Rastrelli erbaute Andreaskirche. Schließlich die „Mutter der Russischen Kirchen“, die Sophienkathedrale aus dem Jahre 1020. Fast neu dagegen die Wladimirkathedrale, erbaut 1861-1862. Und zum Abschluß das Höhlenkloster Petscherskaja Lawra aus dem Jahre 1051, in dem u.a. die Nestorchronik entstanden war. Nach so viel vergoldeten Kuppeln, Ikonen und einer für einen Protestanten aus dem Norden beeindruckenden gelebten Gläubigkeit fiel der Übergang in den hektischen Kiewer Geschäftsalltag schwer – wir erleichterten uns dies mit einem Becher Kwas – einem typischen ukrainischen Getränk, das mich an verdünntes Malzbier erinnert und an der Straße direkt aus großen gekühlten Kanistern gezapft wird.
Das Höhlenkloster in Kiew
Am 3. Tag wollten wir einen " Ausflug auf`s Land " machen. Die Idee, sich hier in einen Eisenbahnzug am Zentralbahnhof zu setzen, ca. 100 Kilometer hinauszufahren und dann am späten Nachmittag dieselbe Strecke wieder zurück, scheiterte nicht zuletzt an einer leider sehr unfreundlichen Fahrkartenverkäuferin im Kiewer Bahnhof. Hier hätten wir uns gewünscht, daß zumindest ein Informationsstand in englischer Sprache zur Verfügung gestanden hätte - es handelt sich bei Kiew ja nicht um eine Stadt in der Größe von Köln: angegeben wird als Bevölkerung häufig 2.5 Millionen , während mehrere Führer uns unabhängig mitteilten, daß Kiew bereit über 4 Millionen Einwohner habe, so daß wir schon eher mit Berlin vergleichen müssten. Fehlendes sprachliches Entgegenkommen an offiziellen Stellen findet man aber leider auch in den großen Museen dieser Stadt, ebenso wie in Odessa. – Hier wird offensichtlich gedankenlos touristisches Potenzial verschenkt; denn die Ukrainer, welche sich um die englische oder deutsche Sprache bemühen, sprechen diese mit angenehmem Akzent und recht verständlich. Andererseits wollen wir nicht die Großzügigkeit dieses Staates vergessen, der uns – als einseitige Vorleistung – unproblematisch ohne Visum einreisen läßt (wer sich einmal um die Einreise nach Weißrußland bemüht hat, weiß dieses Entgegenkommen wohl zu schätzen).
Wir müssen also ziemlich hilflos am Kiewer Bahnhof dagestanden haben, bis uns ein Taxifahrer ansprach und uns anbot, für 200 Dollar den ganzen Tag umherzufahren. Diesen Preis wollte ich so nicht akzeptieren, und das war auch gut so. Benötigen Sie ein Taxi, lassen sie dies am besten durch das Hotel rufen. Die Rezeption vereinbart auf Wunsch dann auch gleich eine akzeptable Obergrenze für die Beförderung.
Auf Anregung eines Reiseprospektes hatten wir uns die ca. 100 Kilometer nordöstlich von Kiew liegende Stadt Nizhyn (ca 100.000 Einwohner) für die Exkursion aufs Land ausgesucht. Die Fahrt dorthin führte auf einer bemerkenswert guten autobahnähnlichen Straße durch ein uniformes Panorama weiter Feldflächen. Im Ort selbst entfaltete sich - gemessen an meinen Erwartungen - ein buntes und keinesfalls sehr rückständiges Leben: viele in Renovierung befindliche Kirchen, Marktatmosphäre, Geschäfte, die von DVDs, Handys und Sonnenbrillen bis hin zu raffinierter Schuhware alles anbieten – und Menschen, die irgendwie zufrieden wirkten. Auch hier auf dem Lande hatte die Schmelze aus Nordmannen, Slawen, Tataren und Schwarzmeeranrainern viele Menschen mit kaum übersehbar gefälligem Äußeren hervorgebracht - häufig unterstrichen von sehr modischer Kleidung.
Unser Fazit, als wir am späten Nachmittag wieder in Kiew ankamen: Es muss nicht Nizhyn sein, aber der Ausflug " auf das Land " gehörte auf jeden Fall dazu.
Abends sahen wir dann in der Kiewer Oper das Ballett Carmen sowie Sheherezade von Rimsky-Korsakow und waren nach diesem Programm ziemlich müde. Zu denken hat mir ein aus Lemberg stammender Reiseführer gegeben, der bemerkte, hier im Opernhaus würde unter den Zuschauern mehr Deutsch als Ukrainisch gesprochen – zwei Reihen hinter uns saß übrigens Larissa mit einer österreichischen Reisegruppe.
Die Kiewer Nationaloper
Wir wollten den nächsten, unseren 4. Tag, etwas ruhiger angehen lassen und machten morgens eine Flußfahrt auf dem Dnjepr. Die meisten dauern so 1 - 2 Stunden, aber es gibt auch deutlich längere. Auch eine Dnjeprfahrt ist nach meiner Ansicht ein Muß. Da die Temperaturen im Schatten häufig über 30 Grad lagen, entschlossen wir uns zu einem auf einer Dnjeprinsel liegenden ganz passablen Sandstrand zu laufen und schwimmen zu gehen. Mein Vater beendete das Strandleben nach 2 Stunden, aber ich genoß immer wieder die kühlende Wirkung des breiten und stolzen Flusses. Ich bildetet mir ein, daß er deutlich sauberer sei als die Neva, in der ich einmal vor 3 Jahren in St. Petersburg geschwommen war und dort immer das Gefühl hatte, über Wasserpflanzen hinzugleiten. Und wenn wir hier schon diese beiden Städte vergleichen: Das Panorama auf das am rechten Flussufer ansteigende „alte“ Kiew ist viel naturbetonter mit großen Waldflächen und wirkt dadurch freundlich, fast beschaulich, aber auch weniger weltstädtisch als der Blick von der Peter und Paul Festung auf das andere Neva-Ufer.
Kiew. Blick über den Dnepr
Aus der Beobachtung der unbekümmerten, fröhlichen , einfach Sonne, Wärme und die Strandatmosphäre genießenden Menschen wich dann auch eine anfänglich wohl doch vorhandene Verkrampftheit, Rucksack oder Ähnliches könnten einem entwendet werden. Ich hatte die Sachen zwar im Blick, entfernte mich dann aber - auch als ich allein war -immer wieder deutlich davon und möchte für unsere gesamte Reise feststellen, daß für uns als deutsche Touristen kein relevantes Sicherheitsrisiko besteht - sicher nicht mehr als in Manchester oder Marseille.
Im übrigen waren auch die von uns erwarteten innenpolitischen Auseinandersetzungen schlichtweg nicht erkennbar: keine Plakate, keine Versammlungen, keine demonstrativen Anhäufungen von „blau“ oder „orange“. Man sagte uns auch, die Ukrainer seien politikmüde geworden, und bei dem Treiben junger Leute in den Straßen der großen Städte und in den auch spätabends häufig vollbesetzten Cafes und Restaurants ist das auch verständlich.
Nach soviel Berührung mit dem Dnjepr sollte dann abends wieder ein " kulturelles Bad " stattfinden - ein Brahmskonzert in der Philharmonie, deren Besuch nicht nur wegen des Konzerts sondern auch wegen der Besucher, des anderen Ablaufs und auch des wunderschönen Raumes lohnt. Die Karten hatten wir schon vorher über Dreizackreisen zurücklegen lassen. Es zeigte sich aber erneut, daß auch an der Abendkasse noch genügend freie Plätze zu haben waren – bei sehr moderaten Preisen.
Am 5.Tag , unserem letzten in Kiew, besuchten wir das Museum über den „Großen Vaterländischen Krieg“ zu Füßen der Mutter Heimat, einer martialischen Statue, die mit hochgehaltenem Schwert auf den Dnjepr blickt. Da der Weg dorhin fast keinerlei hinweisende Zeichen enthielt, kam uns schon mal der Gedanke, ob ein Besuch dieses Museums überhaupt erwünscht sei.
Die Mutter Heimat- Statue in Kiew
Das Innere stellte sich als sprudelnde militärhistorische Quelle heraus, die vor allem geeignet war, den ukrainischen und russischen Nationalstolz zu nähren – mit eindeutigeren Aussagen des Siegers als man sie bei vergleichbaren Ehrenmalen - etwa im nordfranzösischen Caen - findet. Während sich bei uns im echten Kern einer didaktisch und museumspädagogisch ausgefeilten Ausstellung manchmal nur wenige, durchaus bedeutsame Exponate finden, wird man von der Macht, Vielzahl und Art des präsentierten Bild- und Kriegsmaterials geradezu erschlagen - leider aber auch hier nur ukrainische bzw. russische Bildunter-schriften, dafür aber auskunftswilliges Personal, dessen Freundlichkeit diesen Mangel ausglich.
Als zusätzliche Qualität dieses Museums – und nicht nur hier - fand man bestechend saubere Sanitäranlagen, die den Vergleich mit entsprechenden Orten bei uns nicht zu scheuen brauchen.
Fast zur Stunde unserer Abfahrt aus Kiew begann ein Elton John Konzert auf dem Majdan-Platz der Unabhängigkeit direkt vor unserem Hotel „Ukraina“. Wir mußten aber leider auf die erhoffte Konzertteilnahme verzichten, da uns im doppelten Sinne die Bahnfahrt mit dem Nachtzug bevorstand, der um 22 Uhr Kiew verließ und um 6 Uhr morgens Odessa erreichte und verheißungsvoll „Tschornomorjez“, also „Schwarzmeerzug“ hieß. Sorgen, insbesondere meiner daheimgebliebenen Familienmitglieder, ob diese Nachtfahrt denn auch ausreichend sicher sei, zerstreuten sich sofort bei der ersten Inaugenscheinnahme der wirklich geräumigen Kabine, die fast wie ein Safe mit einer Metalltür und großem Eisenhebel zu sichern war und dabei die in meiner Erinnerung vorhandenen deutschen Schlafwagen an Bequemlichkeit bei weitem übertraf: Der „Tschornomorjez“ bot uns immerhin Teppichboden und einen eigenen Fernseher.
Am Morgen des 6. Tages holte uns eine wiederum deutschsprachige Führerin aus unserem neuen Hotel in Odessa ab ( Hotel Mozart direkt gegenüber der Oper ). Diese hieß Marina und war wohl so um die vierzig. Anders als Larissa aus Kiew, die etwas wehmütig auf den ihr in Sowjetzeiten verliehenen Titel „Heldin der Arbeit“ (oder so ähnlich) verweisen konnte, gestaltete sie die Stadtrundfahrt weniger detailverliebt, aber auch effizienter.
Die berühmte Treppe aus dem Film
Verdiente Aufmerksamkeit erhielt der Wachwechsel, bei dem eine kleine Formation aus in Uniform gekleideten halbwüchsigen Jungen und Mädchen mit würdevoll-militärischem Schritt einander am Denkmal des Unbekannten Matrosen ablösten. Wiederum fand die Fahrt in einem höherklassigen Wagen deutschen Fabrikats statt, den man uns offenbar schuldig zu sein meinte. Auffällig im übrigen war auch in Odessa die Vielzahl wirklich teurer Luxusautos, die neben zahlreiche Kleinwagen überwiegend russischen Typs unterwegs waren - letztere nicht selten von heftigen Unfällen erkennbar gezeichnet.
Nachdem wir durch die ca 3stündige Führung einen guten Überblick über die Stadt erhalten hatten, deren antiker Name mit ihrem wahren Alter von nur zwei Jahrhunderten in scharfem Kontrast steht, war uns klar, daß wir zunächst die Stelle aufsuchen würden, von der man uns besonders abgeraten hatte: der " Privos ". Hier handelt es sich um einen riesigen Markt, z.T. unter Hallendächern, bei dem eben nicht auf das Gramm abgewogen und in mehrschichtige Plastikfolien eingewickelt wird. Man bekommt eine Salzgurke direkt aus dem Faß und die herrlichen fettgebackenen Piroschog. Tritt man einige Schritte zurück, ordnet sich das Kunterbunt: hier die Kräuterstände, dort Eier- und Obststände, an denen hiesige Melonen ihren Verzehr einforderten.
Auf dem Markt in Odessa
Und auch hier, selbst auf dem Bauernmarkt - eine Wartezeit wird von einer Marktfrau durchaus einmal mit einem Handygespräch überbrückt: Die ganze Ukraine telefoniert und zwar öffentlich: Alt und Jung, im Gehen, selbst auf den U-Bahntreppen von Kiew, während der Autofahrt und in den Cafes. Nur wir sind irgendwie mit unseren Handys nicht klargekommen und waren nicht in der Lage, auf diesem Wege zu kommunizieren - haben es aber im Nachhinein auch nie gebraucht.
Wer sich vorstellen kann, über den Privos zu gehen, wird keinerlei Schwierigkeiten mit diesem Land haben. Wer aber bauliche und auch sonstige Schwächen registriert und addiert, um immer wieder Sanierungsbedürftigkeit bestätigt zu sehen, findet in der Ukraine zwar dazu reichlich Gelegenheit, wird aber der „Mentalität“ der Ukrainer nicht gerecht werden – bitte, ich würde natürlich nicht für mich in Anspruch nehmen, die genau zu kennen, aber für diese Aussage reicht meine Kenntnis. Und wenn die ukrainische Mentalität der deutschen entspräche, befände ich mich jetzt nicht auf diesem herrlichen ein bißchen abenteuerlichen Urlaub.
Manchmal ist einfach ein bißchen Nachsicht nötig – und verdient das nicht ein in jeder Hinsicht junger Staat, der sich selbst erst finden muß? Bitte, sogar die Währung Griwna (richtigere Transkription wohl „Hryvnja“) ist jung: gerade eben mehr als zehn Jahre alt. Ehrlich, ich hatte bis vor einem halben Jahr noch nichts davon gehört und auch bisher in meinem näheren Bekanntenkreis, von denen man sicher einige dem „Bildungsbürgertum“ zurechnen kann, noch keinen gefunden, der die ukrainische Währung aktiv benennen konnte – immerhin zahlen 50 Millionen Europäer in Griwna. Hier muß der Ukrainer wohl etwas Nachsicht mit dem deutschen Bildungsbürger üben …
Noch immer am Tag der Ankunft mit dem Nachtzug Kiew / Odessa drohten wir bei staubtrockenen Straßen und Temperaturen bis nahe an die 40 Grad allmählich zu ermatten (wer hier Schwierigkeiten hat, lieber einen Monat vorher reisen). Da drangen wie erlösend von Ferne aus einer Parkanlage beschwingte Klänge von Blasmusik an unsere Ohren. Wir lauschten diesem Freiluftkonzert mit viel Freude und erfuhren, daß das Orchester im Sommer am Sonnabend- und Sonntagnachmittag auftritt.
Parkonzert im Herzen Odessas
Diesen langen und abwechslungsvollen Tag ließen wir mit einer Fahrt auf dem Schwarzen Meer ausklingen - mit der einbrechenden Dämmerung hatte uns der Zauber von Odessa gefangen.
Am folgenden 7. Tag, dem letzten vor unserer Abfahrt, besuchten wir das Museum für Volkskunde und Geschichte der Stadt Odessa und wurden hier von mitteilungsfreudigen Damen geführt, denen wir dankbar einen brandneu erschienenen, in ukrainischer Sprache gestalteten Museumsführer abkauften.
Anschließend fuhren wir mit einem der vielen für die Ukraine so typischen gelben Trolleys - etwa halb so groß wie ein Omnibus bei uns - nach „Arkadien“, um hier im Schwarzen Meer zu baden. Wer andere Promenaden kennt, wird in seinem Urteil angesichts des klangvollen Namens vielleicht etwas nüchtern sein - aber das Wasser war warm und herrlich und lud zum Verweilen ein. Am Abend besuchten wir noch die Philharmonie, größer und prachtvoller noch als die in Kiew, in der eine Art arabisch-ukrainisches Festival stattfand , welches wir uns vielleicht so nicht ausgesucht hätten - aber auch in Odessa wollten wir unbedingt ein Musiktheater besuchen, und die Oper, vor über 100 Jahren in nur 3 Jahren errichtet, ist nach ebenso langer Schließung wegen Reparatur leider immer noch nicht für Veranstaltungen geöffnet – Sie erinnern sich an den Satz über die Mentalitätsunterschiede?
Der letzte Abend endete in einem gut besuchten Straßenrestaurant bei reichhaltigem, wohlschmeckendem und relativ günstigem Essen.
Am nächsten Morgen, unserem letzten, dem 8. Tag, vor unserem Abflug setzte ich noch einmal meinen Wunsch um, in einem Buchgeschäft zu stöbern und kaufte hier auch eine Menge Klaviernoten. Die letzte Stunde gehörte dann der Potemkin-Treppe, die von oben deutlich weniger imposant als erwartet wirkt. - Hier wollte ich noch ein Stück Odessa als Bleistiftzeichnung festhalten – natürlich den filmbekannten Blick von unten.
Mit vollem Herzen verließen wir dann diese wunderschöne Stadt und unser Urlaubsland, das „Grenzland“, von dem ich vorher nur plakativ-nebulöse Vorstellungen hatte und das mich bestimmt wiedersehen wird!
Der Bahnhof von Odessa

Mittwoch, 31. Januar 2007

Durch die wilden Karpaten - vorbei an Bären und Wölfen

Die Holzkirche von Kolodne

Tag 1
Am späten Vormittag fuhren wir in Berlin los. Zuvor hatte ich mir noch schnell eine Auslandskrankenversicherung für die Ukraine gekauft, bei der bis heute nicht klar ist, ob sie vorgeschrieben ist oder nicht. Fakt ist, das wir sie schon an der Grenze vorzeigen mussten. Da sich so etwas öfter ändert, ging ich auf Nummer sicher.

Wir fuhren an Frankfurt./O, über die polnische Autobahn bis nach Krakow und von dort auf der Landstraße. Bis Krakow ging es echt flott und danach faulten wir auf der Landstraße ab, die von Baustellen übersät war. Die ehrgeizigen polnische Straßenbauer haben sich gleich 75 km Landstraße als einen Bauabschnitt vorgenommen. Dazu kam schwerer Lastverkehr von und in die Ukraine. Teilweise ging es im Schritttempo über Kilometer! Aber das ist wohl eher ein temporäres Problem, das nach Fertigstellung aller Baustellen auch sein Ende findet. Wir bogen jedenfalls vorher und ziemlich entnervt ab, denn wir hatten ja noch ca. 300 km vor uns. Die Zeit verging, die Sonne ging unter und wir jagten im Schweinsgalopp durch träumende polnische Dörfer.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten wir die polnisch- ukrainische Grenze bei Kroscienko, an der wir etwas mehr als eine Stunde warten mussten. Das ist für die Einreise eine relativ lange Zeit. Die Grenzer waren korrekt und wir reisten problemlos in die Ukraine ein. Nach meiner Versicherung fragte natürlich niemand.

In der Ukraine gegen halb elf nachts angekommen, fuhren wir nach Stary Sambir und fanden zu unserem eigenen Erstaunen Unterkunft im besten Haus am Platz – genau im Zentrum. Nun sollte man sich das beste Haus am Platz nicht wie in Deutschland vorstellen, aber wir hatten jeder ein Bett, es gab kaltes und warmes Wasser – was will man mehr.


Auf dem Weg durch die Karpaten


Tag 2
Nach einer kurzen Stadttour durch Stary Sambir machten wir uns auf den Weg nach Uschgorod, immer entlang der Grenze. Die Fahrt führte uns quer durch die Karpaten, die Straßen waren menschenleer, manchmal andere Autos und noch seltener Menschen.

Mitten in den Bergen wurden wir an einem DAI gestoppt, einem Polizeiposten, der die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer im Auge hat. Hier oben in den Bergen, wo alle paar Stunden mal ein motorisiertes Gefährt vorbei kommt, mutet so ein Posten schon ziemlich absurd an. Und nun langweilte sich der junge Polizist so sehr, dass er uns in ein Gespräch verwickeln wollte. Wo wir herkommen, wo wir hinfahren, dass dies hier nicht die direkte Route sei und wir zurückfahren müssten auf die direkte Route. Wir machten ihm freundlich aber bestimmt klar, dass die Zeiten der vorgeschriebenen Reiserouten auch in der Ukraine vorbei seien und man jetzt auch eine individuelle Route befahren dürfe.

So ließ er denn auch nach ungefähr 15 Minuten voller Argumente und Gegenargumente, Pass- und Fahrzeugkontrollen von uns ab uns ließ uns passieren. Wir waren unserem Schöpfer dankbar, dass wir ihm seine Langeweile für eine Zeit vertreiben konnten.

Und weiter gings vorbei an Dörfern, alten Holzkirchen, alten und jungen Menschen nach Uzhgorod. Die Stadt begrüßte uns mit ihren vertrauten Schlaglöchern und mahnte uns eindringlich, das Auto nach Einbruch der Dunkelheit stehen zu lassen. In der Ukraine setzt sich die alte Weisheit, im Dunkeln mit Licht zu fahren, nur zögerlich durch. Dazu kommt die abenteuerliche Fahrweise mancher Ukrainer.

Wir bezogen Quartier in unserem geliebten Stammhotel Switanok, das sich durch sowjet-sozialistischen Charme und Standard auszeichnet. Dann zogen wir in die Stadt. Es war lau, die Usch floss zu unseren Füssen und als einzige Männertruppe schlenderten wir die längste Lindenallee Europas entlang, kreuzten unzählige verliebte Pärchen und endeten im „Kaktus“ einer im Wildweststil eingerichteten Kneipe mit Diskofläche im Keller. Beim eiskalten Bier planten wir unsere weitere Reise.


Alte Ladenbeschriftung in Uzhgorod
Laden mit tschechischer und ungarischer Beschriftung in Uzhgorod


Tag 3
Uschgorod hat sich den Flair der österreichisch-ungarischen Monarchie erhalten. Es gibt zahlreiche Gebäude im Gründerzeitstil, unter dem neuen Putz findet man an alten Läden noch Aufschriften in tschechisch und ungarisch.

Um Uzhgorod richtig kennen zu lernen, unternahmen wir eine Stadtwanderung, besichtigten auf dem Hügel das Schloss und das Museum Skansen, in dem aus vielen Dörfern der ukrainischen Karpaten traditionelle Holzhäuser und –kirchen in den Dörfern der Bojken, Lemken und Huzulen abgebaut, hierher gebracht und wieder originalgetreu aufgebaut wurden. In den Museumshäusern sitzen alte Omis, die einem liebevoll über das Leben der Menschen erzählen, die einst in diesen Hütten wohnten.

Zurück im Stadtzentrum nahmen wir heimlich an einer Aufführung einer Musikschulklasse in der Uschgoroder Oper teil und gingen danach durch das kubistische Viertel, das die Tschechen in den zwanziger Jahren erbauten, als dieser Teil der Welt mal zu ihnen gehörte. Wir spazierten noch einmal am Ufer der Usch entlang, die Linden dufteten, hübsche Mädchen kreuzten mit uns verstohlene Blicke und das eiskalte Bier schmeckte.

Am Nachmittag gings weiter nach Mukachevo, einer kleinen Stadt östlich von Uzhgorod. Diese strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Ihr Highlight ist die Fußgängerzone im Zentrum der Stadt.

Wir übernachteten im Hotel Delfin, das man problemlos empfehlen kann, es ist neu gebaut und bietet die Vorzüge der westeuropäischen Zivilisation.


Das Narzissental
Das Narzissental

Tag 4
Ende Mai ereignet sich in den Südausläufern der ukrainischen Karpaten ein eindrucksvolles Naturereignis, das seinesgleichen sucht. In der Region um Chust erblühen wild und ungesteuert Millionen Narzissen auf Wiesen, Äckern und färben das Land in ein frisches Weiß und Gelb. Die Region ist mittlerweile Teil des Karpaten- Biosphärenreservates und als solches geschützt zugänglich. Dorthin fuhren wir von Mukatschewo und verbrachten einen erholsamen sonnigen Tag mitten im süßen Duft des Narzissentals. Von dort fuhren wir in die Karpaten hinein und wollten ein weiteres Biosphärenreservat in Mala Uholka besichtigen und durchwandern.

Unterwegs entdeckten wir in Kolodne eine wunderschöne alte originale Holzkirche aus den Karpaten. Wir waren fasziniert und betroffen zugleich, denn neben Ihrer Schönheit trug die Kirche deutliche Spuren des Verfalls. Als wir die Dorfbewohner darauf ansprachen, mussten wir wieder einmal erfahren, dass der gute Wille da ist, jedoch das Geld fehle. Präsident Juschtschenko selbst hätte das Geld schon zugesagt, allein - es sei noch nicht eingetroffen.

Da es schon wieder dunkelte, beschlossen wir, im Dorf eine Unterkunft zu suchen. Wir gingen in den Dorfladen und fragten, wer denn hier im Dorf Leute übernachten ließe. Wir waren wieder einmal überrascht, die unglaubliche Gastfreundschaft der Leute zu erfahren. Die Ladeninhaberin machte sich sofort auf den Weg zu einer Nachbarin, um bei der nach einer Unterkunft nachzufragen. Inzwischen passte eine Kundin im Laden auf. Und wir hatten Glück, wir kamen bei einer Familie im Dorf für eine Nacht unter. Man räumte uns das eigene Schlafzimmer und rückte in einem anderen Schlafzimmer zusammen.

Die Familie bestand aus fünf Frauen - zwei Omas, zwei Müttern Anfang 40 und einer Tochter. Sie leben in Ihrem eigenen Bauernhof. Der besteht aus einem Wohnhaus mit drei Zimmern und Bad und einer Scheune mit einer Kuh und Nutzräumen. Die Kuh liefert die Milch und Dung für die Gemüsebeete.

Die Omas handeln mit dem Brot für das ganze Dorf, d.h. einmal in der Woche kommt ein Lkw (mit tschechischem Werbeaufdruck, aber ukrainischem Kennzeichen) und bringt um die 100 Brote, die dann in den Nutzräumen der Scheune eingelagert werden. Im Laufe der Woche kommt dann das ganze Dorf bei den Omas vorbei, kauft die Brote und die Omas verdienen sich damit ein Zubrot zur Rente. Natürlich haben sie auch einen Garten, der ihnen Gurken, Tomaten, Kartoffeln usw. liefert.

Die Mütter arbeiten in Tschechien in einer Fleischfabrik und kommen alle zwei Monate mit dem Bus nach Hause. Dann bringen sie Ersatzteile für Haushaltgeräte, Kosmetika, Klamotten und alles andere mit, was man so handeln kann in einem Dorf ohne Kanalisation. Die Jüngste feiert gerade ein Übergangsjahr zwischen Schule und Schwesternschule. Meistens langweilt sie sich.

Alle Männer der Familie sind weggestorben oder weggelaufen. Das Erstaunliche dabei war, dass wirklich alle technischen und baulichen Objekte in einem ausgesprochen gepflegten Zustand waren - alles funktionierte, obwohl oder vielleicht gerade weil der Hof von Frauen verwaltet wird. Das ist uns sonst in der Ukraine nicht passiert. Aber das ist nur eine kleine persönliche Beobachtung.

Wir sind von den Frauen sehr gastfreundlich für eine Nacht aufgenommen worden, sie bewirteten uns ordentlich mit Gemüsesuppe "Quer durch den Garten", Brinsa, einer karpatischen Käsespezialität, und Brot.

Blick vom Gipfel des Tschur über die Karpaten
Blick vom Gipfel des Tschur über die Karpaten

Tag 5
Gut ausgeschlafen fuhren wir in das Biosphärenreservat Mala Uholka, einem Teil des Karpaten Biosphärenreservats, um den Tschur zu besteigen und die Felsenbrücke zu bestaunen, die angeblich schon Kaiser Franz Ferdinand beeindruckte. Das Besondere an den ukrainischen Wanderwegen sind weniger die Wege und mehr der Anstieg und das Gefälle. Die zweite Herausforderung sind die mehrheitlich unmarkierten Wanderwege, für die ein ortskundiger Führer immer eine tolle Hilfe ist. Wir hatten keinen. Wir machten GPS. Marten konnte uns endlich beweisen, wofür er während der Fahrt immer sein Gerät aus dem Autofenster gehalten hatte und unsere Reiseroute aufzeichnete.

Auf dem steilen Weg zum Tschur kamen wir an der Höhle Druzhba (Freundschaft) vorbei, zu der uns der Parkwächter erzählt hatte, dass sie unter dem Einstiegsloch 40m senkrecht nach unten falle und eine horizontale Ausdehnung über mehrere Kilometer hätte. Da wir jedoch nicht die geforderte Sicherheitsausrüstung dabei hatten, durften wir nicht reinsteigen. Also mussten wir weiterwandern. Schade!

Steile Bergpfade, mal sichtbar, mal nicht, zogen sich den Berg hinauf, die unberührte Natur wahr wunderschön, wir wandelten mehr, denn wir wanderten. Ab und zu schenkte uns die Sonne einen Sonnenstrahl durchs grüne Walddach. Und höher gings. Und höher. Irgendwann ragte aus dem Berg nur noch ein Felsen weiter noch oben – der Tschur. Einen Weg gab es nicht, man musste sich an Pflanzen hinauf hangeln. Dann standen wir auf dem Gipfel und waren stolz wie Oskar, diesen für mitteleuropäische Flachländler ziemlich anspruchsvollen Aufstieg geschafft zu haben. Und wir waren froh, dass es nun wieder abwärts ging. Dachten wir.

Irgendwo sollte noch die beeindruckende Felsenbrücke sein, die wir noch sehen wollten. Leider war sie nicht ausgeschildert. Das merkten wir, als wir unten angekommen waren. Mittlerweile war die Sonne zum Mittagessen gegangen und ließ den Regen als Platzhalter zurück. Die steilen Waldwege entwickelten sich zu schlammigen Schlitterbahnen. Und jetzt noch mal zurück? Nur ein Held traute sich, wir anderen beiden Schlaffis blieben unten. Der Held nahm nicht mal seine Jacke mit, wie gesagt – ein Held! Einer, der nicht wusste, dass es gleich richtig regnen würde. Und das tat es. Wir standen unten im Tal, wie begossene Eselchen und wussten nicht wohin, wir mussten ja auf Marten warten. Held Marten kletterte im strömenden Regen im Wald herum, auf der Suche nach etwas, von dem wir mal nicht wußten, ob es den Aufwand überhaupt wert war. Nach über einer Stunde kam ein klitschnasser Marten die Abhänge heruntergeschlittert. Er hatte es geschafft! Die Felsenbrücke existiert. Und wir können es beweisen!

Die Felsenbrücke im Reservat Mala Uholka
Die Felsenbrücke im Reservat Mala Uholka

Tag 6-8
Es zog uns nach oben – in die Berge. Die sind in der Ukraine ja nicht so hoch wie vielleicht die Alpen. Dafür ist hier wirklich Stille gemeint, wenn von Ruhe die Rede ist. Dieser Landstrich ist so dünn besiedelt, dass Einsiedler und Zivilisationsflüchtige ihre Passion finden werden.

Unser Ziel war der Naturpark Sinewir. Hier entdeckten wir vor fünf Jahren ein weggeschwemmtes Museum der Holzflößerei, das in den Jahren 1997 und 2001 durch das Tauwasser aus den Bergen komplett weggeflutet wurde. 2003 waren wir erneut hier und ein sympathischer Lehrer erzählte uns, was die Regierung für große Wiederaufbaupläne für das Museum hätte. Und wie 2003 besuchten wir es auch in diesem Jahr und wollten schauen, wie weit die Reparaturen sind. Mehrmals sollte es schon repariert und auf den neusten Standard gebracht werden, mit Fremdenzimmern und allem pipapo. Der Status, den wir vorfanden, entsprach dem Stand von 2003.

Also suchten wir uns eine andere Unterkunft und brannten auf zwei schöne Tage in den einsamen Karpaten. Wir könnten hier stundenlang wandern, Karpatendörfer entdecken, auf dunklen Waldpfaden schleichen, wenn nicht ……….. ja, was war passiert?

Am Anfang war der Regen, der uns im Haus hielt. Ein ekliger Strippenregen, der ewig dauerte und den Boden überall zur Schlammschlacht machte. Was als Ausflugsziel blieb, war die einzige Kneipe am Berg, die mit eiskaltem Bier und schlechtem Essen glänzte.

Eins der beiden gab mir dann den Rest. Gequält von einem ausgewachsenen Darmkatarrh war ich in den nächsten zwei Tagen nicht mehr aktionsfähig, Durchfall und ausgeprägte Übelkeit quälten mich, ich lag im Bett und fühlte mich wie Jesus am Kreuz.

Also mussten Micha und Marten allein auf die Berge krauchen, Bären an den Zehen killern und Wölfe beim Blinde-Kuh-Spiel fotografieren. Sie brachten reiche Beute mit, aber das Wetter trieb sie auch in den folgenden Tagen zurück ins Zimmer.

Da wir als vernünftige Deutsche einen Zeitplan hatten, mussten wir am Tag darauf wohl oder übel weiter…

Am Ufer des Sinewir
Am Ufer des Sinewir

Tag 9-11
… und fuhren nach Rachiw, einer Stadt in der Nähe des geografischen Mittelpunkts Europas.

Dieser Mittelpunkt hat sich in den vergangenen fünf Jahren stark verändert. Während vor den fünf Jahren hier lediglich eine Säule stand, haben sich mittlerweile um diese Säule ein Restaurant, bald auch eine Pension, Souvenirhändler und ein Bärenführer mit einem ausgestopften Bären, den man gegen Geld fotografieren kann, geschart. Das war uns denn auch ein bisschen zuviel des Guten und wir fuhren direkt in die Stadt.

Rachiw ist im Sommer nicht unbedingt ein Kleinod, aber von hier kommt man schnell in und auf die Karpaten. Die Howerla (Gowerla – 2.061 m) ist mit dem Auto und zu Fuß erreichbar und auch die umliegenden Berge kann man ersteigen. Ich brauchte noch einen Tag im Hotel, um mich zu erholen, die anderen beiden zogen los und sondierten das Gelände. Als sie zurück kamen, erklärten Sie mir, das Gelände sei nicht besonders und da wir mittlerweile alle drei mehr oder weniger mageninfiziert waren, machten wir auf Diät und einen ruhigen Abend.

Wir waren tags darauf schon fast raus aus der Stadt, da erklärte uns Micha, dass Rachiw ja der zentrale Tourismusknotenpunkt der Karpaten sei und die Verwaltung des Biosphärenreservats mit einem interessanten Museum ja auch hier liege. Und so besuchten wir das Museum, das natürlich geschlossen war und geschlossen blieb, aber wir lernten ein paar Mitarbeiter der Verwaltung kennen, die uns für den kommenden Tag auf eine Bergtour einluden. Da sagten wir natürlich zu und stiegen nach einer abenteuerlichen Tour mit dem UAZ-Geländewagen über Forstwege hinauf auf die Bliznizy (Blisnitzy – 1.881m). Der Bergführer erzählte uns viel über die Berge, die Einsamkeit hier oben, sein Leben hier und empfahl uns ein nettes Hotel auf dem Berg für unser Mittagessen.

In den ukrainischen Karpaten wird emsig an Hotels, Sanatorien und Pensionen gebaut. Das touristische Potential der Region wird von Jahr zu Jahr größer und seit die Visumspflicht für EU-Bürger erloschen ist, rechnen viele Ukrainer mit einem Anstieg der Besucherzahlen aus dem Westen und investieren in kleine Hotel- und Gastronomieunternehmen.

Denkmal für den geografischen Mittelpunkt Europas
Denkmal für den geografischen Mittelpunkt Europas

Tag 12
Auf verschlungenen und oftmals katastrophalen Strassen zog sich unser Weg durch die Karpaten, wir suchten nach historischen Holzkirchen und anderen interessanten Örtchen. Wir fuhren über Pässe, die aussahen wie Märkte, auf denen sich Reisende mit allem wichtigen für eine Reise eindecken können – Lammfelle, geschnitze Wanderstöcke, bemalte Steine und Hölzchen, falsche Ikonen; allesamt Tand und Tünnef, aber auch Kaffee, Tee, Schaschlyk und Zigaretten.

Am Abend erreichten wir Kolomija, ein kleines Städtchen im Zeichen des Osterei. Hier gibt es das einzige Ostereimuseum Europas (wahrscheinlich gibt’s noch eins in Amerika, aber da gibt’s ja eh alles), hier werden kleine Kunstwerke aus über hundert Jahren Ostereigeschichte gesammelt und präsentiert. Schräg gegenüber war unser Hotel, wir schliefen quasi mit Blick aufs Osterei.

Das Ostereimuseum in Kolomija
Das Ostereimuseum in Kolomija

Tag 13
Langsam wurde die Zeit knapp, die wir zur Verfügung hatten und also fuhren wir nach dem Frühstück, das in einer sowjetisch angehauchten Konditorei stattfand und aus fetter Sahnetorte mit Tee/Kaffee bestand, über Ivano- Frankivsk nach Lemberg. Nach vier Autostunden waren wir da und suchten nach einem preiswerten Hotel. Da wir wenig Standard gewöhnt sind, haben wir uns im Hotel Kiew eingemietet. Wenn man mit Möblierung aus den sechziger Jahren umgehen kann, ist es völlig ausreichend. Der Vorteil liegt auch in der zentralen Lage des Hotels gleich neben der Oper. Um die Ecke lag eine usbekische Teestube, in der wir einen sehr leckeren Plow mit eiskaltem Bier zu uns nahmen. Danach gings in die Stadt, die einige sehr sehenswerte Ecken hat. Natürlich hat die sozialistische Epoche viel einstmals Sehenswertes verfallen lassen und es bedarf großer Anstrengungen, diese Schätze wieder zum Leben zu erwecken. Aber die Stadt kümmert sich um ihre historischen Gebäude und macht sich für den erwarteten Besucheransturm aus der EU hübsch. Gerade polnische Touristen haben ein großes Interesse an diesem Teil ihrer Geschichte, auch deutsche Touristen entdecken mehr und mehr diese verwunschene Stadt mit Ihren eindrucksvollen Bürgerhäusern, stillen Parkanlagen und Friedhöfen, die Geschichten vom wilden Nationalitätengemisch erzählen, das hier einst herrschte. Ich bin gespannt, wie sich dieses Lviv entwickelt und welche Veränderungen und neuen Geheimnisse wir auf unserer nächsten Reise hierher entdecken werden.


Tag 14
Nachdem wir uns extra früh von den weichen Betten des "Kiew" verabschiedet hatten, kauften wir als Souvenir jeder noch eine Wodkaflasche für zuhause und fuhren los, kurs auf Grenze. Die war rappeldicke voll, wir mussten elendig Stunde um Stunde warten, bis wir endlich in den Zollbereich einfahren konnten. Dort gab es dann aber eine Extraspur für EU- Bürger ohne zu Verzollendes und so waren wir schneller als wir "dostoprimetschatelnosti" sagen konnten, in Polen. Langsam wurde es dunkel und wir hatten noch über 800 km vor uns. Die waren dann aber dank der vergleichsweise gut ausgebauten polnischen Strassen und der nächtlichen Verkehrsruhe relativ fix überstanden. Morgens um acht kamen wir in Berlin an, schlossen unsere Lieben in die Arme und verabschiedeten sie zur Arbeit, um halb bewußtlos ins Bett zu fallen. Aber schön wars trotzdem!

Während des Gottesdienstes am Sinewir
Während des Gottesdienstes am Sinewir