Donnerstag, 19. Dezember 2013

Im Himmelfahrtskloster Potschajew

Händler am Kloster Potschajew.
Händler am Kloster. Alles ist käuflich, selbst die goldene Kuppel.

Bin heute ganz früh aufgestanden und gerade erst in die Ukraine angekommen. Das Wetter ist mies, trotzdem bin ich total motiviert und könnte Berge erklimmen, auch wenn das Kloster in Potschajew nur auf einem kleinen Hügel gelegen ist, der schnell zu bewältigen ist. Das Frühstück gibts in einer Bus-Bäckerei am Straßenrand, schnell und unkompliziert. Aufmunternd, besonders der warme Tee. 

Das ganze Klostergelände oben auf dem Hügel ist in einen dichten Nebel eingehüllt, der immer dichter wird je näher wir herankommen.

Am Eingang erlebe ich eine kleine Verwandlung, um die Sitten der orthodoxen Gläubiger zu respektieren: Ich muss einen langen Rock anziehen und mein Haar mit einem Tuch bedecken. Ich sehe sogar ein bisschen ukrainisch aus, was meine Reisebegleiter zum Lachen bringt.

Wir erklimmen den Klosterhügel noch ein bisschen mehr. Mit dem Nebel muss man wirklich sehr nah an jedes Gebäude herangehen, um die ganze Pracht der bunten und goldenen Bemalungen in ihrem vollen Glanze wahrzunehmen. Es verleiht dem ganzen Komplex eine geheimnisvolle fast mystische Stimmung, vor allem als wir in die Höhlen hinabsteigen, wo die orthodoxen Mönche begraben liegen, die in diesem Kloster einst innbrünstig gebetet haben.

Die kirchliche Musik und die frommen Gesänge in der Hauptkirche mit ihren zahlreichen Pilgern, die lange anstehen müssen, bevor sie sich niederknien können, um den Fußabdruck der Heiligen Maria, die sie hier laut Legende hinterließ, zu erblicken und zu küssen, das alles hinterlässt einen tiefen Eindruck von unglaublich großer Besinnlichkeit und Ruhe, die in völligem Kontrast zu der Hektik der modernen Zivilisation steht. Es ist unglaublich.

Mein Reiseführer zeigt mir mit dem Arm in Richtung Karpaten, wo ich bei schönem Wetter eine herrliche Aussicht auf herbstliche Landschaften genießen könnte, aber dieser Genuß bleibt mir heute verborgen. Und wie wir hier im Nebel stehen, bin ich schon wieder von diesem Gefühl von Abgrenzung von der äußeren Welt überwältigt.

Wir steigen den Hügel herunter und verlassen bald das Klostergelände. Am Ausgang bringen uns die Souvenirs-Verkäufer in die Wirklichkeit zurück. Ikonen, bemalte Ostereier, Kopftücher, Gebetsbücher, Magnete oder Glücksbringer für die Fahrer, die Auswahl ist natürlich riesig. Ich denke jedoch, dass ich bei meinen Nachbarn ziemlich viel Resonanz finden würde, wenn ich mir statt dessen eine goldene Kuppel für das Dach meines Gartenhäuschens anschaffe. 

Wir steigen ins Auto und fahren weiter, die Stille ist schon längst wieder durch den chaotischen Verkehrslärm unterbrochen. Der Nebel verschwindet auch nach und nach, je weiter wir uns von dem Kloster in Potschajew entfernen.



Das Himmelfahrtskloster Potschajew
Bei schönem Wetter von beeindruckendender Pracht.

Dienstag, 26. November 2013

Ausflug in die Ukraine südlich von Lemberg oder das Matrjoschka- Prinzip



Die Kunstgalerie in Drohobytsch
Die Kunstgalerie von Drohobytsch
Während meines Aufenthaltes in Lemberg, hatte ich die Gelegenheit, einen Ausflug in die Westukraine südlich von Lemberg zu unternehmen. Ein unvergesslicher Ausflug, auf dem ich sehr viele Leute kennenlernte.

Alles fing mit einer zufälligen Begegnung auf der Straße an: Ich fragte nach dem Weg, eine junge Frau antwortete mir, stellte fest, dass ich Ausländer bin. Ich stelle fest, dass sie ein perfektes Deutsch spricht. Und so schwatzen wir ein bisschen, sie lädt mich ein, sich am Abend mit ihren Freunden in einer Bar in der Nähe meines Hotels zu treffen und ich willige ein.

Bei den vielen Gesprächen stellt sich heraus, dass ein Freund aus Drohobytsch stammt, er macht groß Werbung für seine Heimatstadt. Seine Eltern leben immer noch dort, er war sie lange nicht mehr besuchen. Auf einmal schlägt er mir vor, ihn am nächsten Tag dorthin zu begleiten. Ich habe schon 2 Tage in Lemberg verbracht, meine Freunde sind schon nach Hause abgeflogen, einen guten Einblick über die Hauptstadt Galiziens habe ich schon bekommen, wieso also nicht? Wir verabreden uns um 5 Uhr am Hauptbahnhof. Wir müssen früh losfahren, wenn wir pünktlich am Abend nach Lemberg zurückfahren wollen. Naja, es fährt ja auch nur ein Zug am Tag dahin…

Noch im Halbschlaf, ohne gefrühstückt zu haben (denn das Restaurant war angeblich noch zu) gehe ich raus auf meine Lieblingsstraße in Lemberg, die von der Oper zum Hauptbahnhof führt, mit auf den ersten Blick unüberwindbaren Hindernissen. Es regnet. Wie aus Eimern. Die 15 Minuten zu Fuß sind heute ziemlich lang…

Am Bahnhof zeigt mir mein neuer Freund Vasil stolz die zwei Zugfahrkarten, die er an der Kasse grade ergattert hat. Wir schaffen es sogar noch, er einen Tee, ich einen Kaffee zu trinken. Eine Oma verkauft uns ein Brötchen mit Quarkfüllung (Watruschka). Auf dem menschenleeren Gleis finden wir einen trockenen Platz zum Warten. 

Endlich kommt der Zug. Er kommt mit viel Lärm an, der Fahrer scheint, die Bremsen der Lok zu testen, aber sie bringen den Zug zum Stehen, ohne Stoß. Der Zug sieht sehr hoch aus, ich frage mich, wie ich die Treppen hinauf schaffen werde. 

Im Wagen ist alles still. Mit „alles“ meine ich die 60 Reisenden, die im offenen Schlafwaggon auf Doppelstockbetten liegen. Zwei Personen längs des Flurs und 4 quer zum Flur, es bleibt noch gerade genug Platz, damit sich eine Person durchschleichen kann. Alle schlafen. Nur unsere Zugführerin ist da, um uns zu empfangen. Beim Schleichen zu unseren Plätzen merke ich jedoch, dass hie und da ein Auge aufgeht. Im letzten Moment umkurve ich einen Fuß, der unter der Decke hervorragt. Vasil setzt sich hin, ich mache es ihm nach. Wir brauchen kein Bettzeug wie die anderen, die auf der Fahrt des Zuges aus der Ostukraine hier im Waggon eine ganze Nacht oder gar mehrere verbringen. Wir gucken uns erst still an, dann schließen wir auch die Augen.

Eine halbe Stunde vor Ankunft werden wir von unserer Zugführerin geweckt. Wir steigen aus, ohne eine Stufe zu verpassen. In großen kyrillischen Blockbuchstaben entziffere ich auf dem beeindruckenden Bahnhofgebäude für eine solch kleine Stadt: DROHOBYTSCH. Wir sind zwar früh da, aber gerade recht angekommen: die Stadt pulsiert schon. Und es regnet hier nicht.

Wir sehen, wie zahlreiche Marschrutkas (Minibusse, die als öffentlicher Verkehrsmittel dienen) anhalten und dann wieder schnell wegfahren. Kein Schild in Sicht, keine Bushaltestelle. Mein Reiseführer geht zielstrebig zu einer der Schlangen, die sich gebildet haben. Wir warten einige Minuten. Ein Marschrutka fährt vorbei, dann das nächste. Leute steigen ein und aus. Als die Nummer 137 ankommt, sind wir mit Einsteigen dran. Vasil zahlt die Fahrt direkt beim Fahrer. So funktioniert es, ohne Fahrkarte. Eigentlich ganz umweltfreundlich, wenn man von den ziemlich dunklen Abgaswolken absieht…

Wie verabredet steigen wir in der Innenstadt aus, um ein kleinen Rundgang zu machen, bevor wir das Haus seiner Eltern anpeilen. Vasils Mutter hat darauf bestanden, uns ihren Borschtsch, eine Suppe mit roter Bete, kosten zu lassen. Wir laufen am Theater, einem pistaziengrünen prächtigen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, an der Synagoge, an einem verlassenen Kino, an einer Fußgängerzone und an Wohnvierteln vorbei.

Die Architektur von Drohobytsch ist sehr abwechslungsreich: vom sozialistischen Stil über deutschen Barock bis hin zu einfachen Holzhäusern mit Schnitzereien. Die letzteren fangen natürlich meinen Blick. Diese Häuser aus Holz haben meist einen Garten mit bunten Blumen und Beeten, die der Straße ein verlassenes aber charmantes Antlitz verleihen. Hier entdecken wir auch das Haus, in dem einst der Schriftsteller Bruno Schulz lebte. Drohobytsch hinterlässt in mir einen gemischten Eindruck, Stadt und Dorf in einem.

Wir erreichen dann auch das Haus von Vasils Eltern, ein 5stöckiges Haus aus der Chruschtschow- Ära, wie mir mein Begleiter mitteilt, ziemlich zerfallen von außen. Seine Mutter empfängt uns mit einem breiten Lächeln. Sein Vater sitzt schon am Tisch und guckt Fernsehen, bevor das Essen losgeht.

Der Tisch ist schon reich gedeckt, wir müssen uns nur noch hinsetzen und essen. Die versprochene Rote-Bete-Suppe ist tatsächlich lecker, das Hauptgericht auch (ich kann mich an den Namen nicht mehr erinnern, aber an den Geschmack schon!). Trotz der wenigen Worte, die ich auf Russisch kenne, schaffen wir es, uns zu verständigen und lachen viel zusammen. Vielleicht lag das auch an der Flasche, die wir bei Essen gemeinsam allmählich, aber sicher leerten. 

Meine Gastgeber fingen dann an, sich für mich ein Nachmittagsprogramm auszudenken. Der Vater von Vasil sollte etwas bei einem Freund in Truskawez, einer Kurstadt mit populärem Thermalheilquellen in der Nähe von Drohobytsch, abgeben und wir würden ihn begleiten. Bevor wir uns auf den Weg machten, tranken wir noch Tee mit „Vogelmilch“, eine Art überzuckerte Baiser mit Schokoladenüberguss. Perfekt wenn man vergessen hat, seinen Tee zu süßen!

Der Wagen, in den wir einstiegen, einen alten Lada, wäre schon längst auf dem Schrottplatz in Deutschland, aber in der Ukraine fahren die Autos länger als bei uns. Die ukrainischen Automechaniker haben rustikale Lösungen für alle Probleme. 

Die Fahrt dauert nur reine Viertelstunde. Die Straßen werden schlechter. 

Die Innenstadt von Truskawez, am Rande der Karpaten, besteht aus zwei Hauptstraßen, eine ist für Fußgänger freigelassen und mit einer breiten Baumallee und kleinen Parks mit bunten Gartenhäuschen bestanden, die mit den sowjetischen, eher grauen Gebäuden kontrastieren.

Flaniermeile in Truskawez
Flaniermeile in Truskawez

Viele Leute flanieren. Eine Statue vor dem Eingang der Thermen lädt uns ein, hereinzuspazieren. Wir entdecken viele Wasserhähne, aus denen heilsames Mineralwasser herausfließt. Über jedem Wasserhahn hängt eine Erklärung über die enthaltenen Mineralien und den gesundheitlichen Nutzen. Da das Wasser Schwefel beinhaltet, werden ungewöhnliche Behälter zum Trinken benutzt, ohne dass die Zähne das Wasser berühren.

Auf dem Rückweg treffen wir wie durch Zufall den Freund des Vaters, bei dem er ein Päckchen abgeben sollte. Er bittet uns, ihn nach Drohobytsch mitzunehmen. Nun saßen wir im kleinen Auto mit einem Reisenden mehr. Unterwegs steigt noch ein Tramper ein, am Rande eines Dorfes. Er trägt ein Huhn auf dem Arm, das ihm seine Mutter geschenkt hat. Seine weißen struppigen Haare erinnern ein bisschen an die Mähne eines Löwen. 

Während der Fahrt geraten wir natürlich ins Gespräch und der Löwe wundert sich, dass man mir die beiden Holzkirchen in Drohobytsch nicht gezeigt hat. Sie stammt aus dem 17. Jahrhundert und werden seit mehreren Jahren aufwendig restauriert. Es stellt sich heraus, dass der Löwe selbst die Kirchen renoviert. Wir setzen erst den Freund des Vaters von Vasil ab. Dann halten wir an einer der Kirchen an. Der Löwe mit seinem Huhn unterm Arm macht uns die Tür der Holzkirche mit einem riesigem Schlüssel auf, so wie man ihn sich in Märchen vorstellt. Er redet viel, wenig über die Kirche und seine Kunst, als würde es ihn nicht so sehr interessieren. Aber ich merke, dass er schon beeindruckt ist, dass ein Deutscher bis hierhin angereist ist, um sich „seine“ Kirche anzuschauen.

Wir danken ihm für diese unerwartete Besichtigung, es ist schon Zeit für den Zug zurück nach Lemberg. Ein schneller Blick auf die Uhr reicht aus, um das Angebot des Vaters von Vasils anzunehmen, uns zum Bahnhof zu bringen. Am Bahnhof hat Vasil noch Zeit, uns Verpflegung für den Zug zu besorgen. Die Treppen des Wagons scheinen mir heute Abend doch nicht mehr so hoch.

Beim Essen schweift mein Blick über die Landschaft, die am Zugfenster vorbeifliegt, und meine Gedanken über all die unerwarteten Ereignisse, die in so kurzer Zeit geschehen sind - all die Leute, die ich zufällig getroffen haben: Die deutsch sprechende Frau, ihr Freund Vasil, sein Vater, dessen Freund, der Tramper/Kirchenrestaurator und natürlich sein rotes Huhn. Ich hatte gerade das magische Prinzip der ukrainischen Matrjoschka- Puppen am eigenen Leib erlebt: Ein Treffen birgt jeweils das nächste in sich.

Der Eingang zur Kurhalle in Truskawez
Der Eingang zur Kurhalle in Truskawez

Mittwoch, 6. November 2013

Lemberg. Lviv, mon amour.


Das Opernhaus in Lemberg.
Das Opernhaus in Lemberg.

Es ist soweit - meine langersehnte Reise steht endlich vor der Tür ! Mein Gepäck ist gepackt, eingecheckt habe ich mich schon im Voraus übers Internet (Technik ist echt praktisch, muss man sagen! Man muss nicht mehr am Schalter Zeit vergeuden…). Bleibt mir nur noch, morgens pünktlich aufzustehen und in den Zug zum Flughafen einzusteigen. Hinter der Sicherheitskontrolle trinke ich noch einen Kaffee und setze mich gemütlich in den Wartebereich, bevor das Boarding für meinen Flug nach Lemberg beginnt.

Mit einer Stunde Verspätung bei meinem Zwischenstopp am Flughafen in München, wo unsere Maschine zu klein für einen Rollstuhl war, landen wir endlich in Lemberg. Zu meinem großen Erstaunen ist der Flughafen total neu, modern und übersichtlich von der Größe. Am Ausgang, wie in allen osteuropäischen Ländern, werden die Passagiere durch gierige Taxifahrer empfangen, die uns ihre überteuerten Preise anbieten.

Ich gehe erstmal Richtung Bankautomat. Der erste funktioniert natürlich nicht. Mit dem zweiten klappt das besser. Dann habe ich die Idee, durch den hinteren Ausgang einen Taxifahrer zu suchen. Ich konzentriere mich, um meine Russischkenntnisse aufzurufen. Der erste Taxifahrer ist in seinen Preisen überhaupt nicht flexibel, ich gehe weg. Ein anderer spricht mich an, mit dem ich mehr Erfolg habe. Und da sitze ich schon auf dem hinteren Sitz seines Autos und wir fahren in Richtung Altstadt! Wie stolz würde meine Russischlehrerin sein!

Mein Hotel hatte ich im Voraus schon gebucht, ich musste nur noch mein Gepäck im Zimmer abstellen und meine Erkundungstour durch Lemberg konnte beginnen. Das Hotel ist, nebenbei gesagt, total korrekt, sauber und den europäischen Maßstäben entsprechend. Das Personal war mir gegenüber sehr zuvorkommend. Am Empfang antwortet man mir erst auf Ukrainisch, holt dann aber schnell eine junge Frau, die ein bisschen Englisch spricht. Trotz allen Sprachschwierigkeiten versucht sie mir alles zu erklären, mir zu zeigen, wohin ich gehen muss und was ich mir alles anschauen muss. Einen Stadtplan könne sie mir leider nicht anbieten, gibt es im Hotel nicht, erklärt sie mir. Ich verlasse mich mal auf meinen Orientierungssinn und hoffe, er lässt mich nicht im Stich!... Ich darf mir ein Frühstück für morgen aussuchen. Zur Auswahl Eier in allen Formen, Kascha (Buchweizenbrei) mit Wurst, es gibt auch süße Sachen. Vielversprechend. Ich packe meine Sachen im Zimmer aus und verlasse das Hotel.

Auf dem Lemberger Markt (Rynok)
Auf dem Lemberger Markt (Rynok)

Ich gehe raus und was für ein Chaos erwartet mich da: Die Hauptstraße zwischen Hauptbahnhof und Altstadt ist völlig aufgewühlt, für Autos gesperrt. Ein „Bürgersteig“ existiert noch, zwar nicht asphaltiert und mit einem Hindernislauf vergleichbar, aber immerhin hat man an die Fußgänger gedacht. Hie und da muss man Holzbrücken überwinden, Backsteinhaufen erklimmen, tiefe Löcher vermeiden und sich an den strömenden Passanten vorbeischlängeln, die in entgegengesetzte Richtung eilen und Entgegenkommende und die Schwierigkeit des Weges ignorieren. Ich erfahre später im Hotel, dass diese Bauarbeiten die Stadt seit 4 Monaten blockieren. Im Zentrum angelangt sehe ich schon nicht mehr ganz ordentlich aus: staubige Schuhe, struppiges Haar… Ich setze mich auf eine Bank am Opernplatz, um ein bisschen Luft zu schnappen…

Ich hätte keinen besseren Platz finden für meine Rast können! Der Opernplatz erstreckt sich an einer mit Bäumen bepflanzten Allee. Von da aus kann man die Leute gut beobachten. Zwei Männer spielen Schach auf einer Bank, andere haben sich um sie versammelt und helfen den beiden still beim Überlegen…Alte Frauen sitzen auch, genauso erschöpft wie ich. Viele Liebespaare spazieren hier auch lang, manche mit Kind hinterher.

In der Lemberger Altstadt
In der Lemberger Altstadt

Ich entschließe mich, meine Tour fortzuführen und hole mir erst mal eine Eiswaffel, das wie ein Becher aussieht und auch so heißt: stakantschik (russisch für "Glässchen"). Dann bummele ich durch die verwinkelten Straßen, bis ich auf dem Marktplatz (Rynok) lande. Überall Kirchen, jede für eine andere Konfession: katholisch, dominikanisch, armenisch, griechisch-katholisch, orthodox, Synagogen gibt es natürlich auch…

Unterwegs treffe ich eine junge Frau, die mir eine Führung auf Englisch anbietet, dann werde ich aufgefordert, einen Adler auf den Arm zu nehmen zwecks Foto und zu meinem großen Erstaunen hakt sich plötzlich eine alte Dame bei mir ein. Ich soll sie bis nach Hause begleiten und ihre Taschen tragen, ihr sei schlecht.

Die ganze Altstadt ist eine Fußgängerzone - eine Ausnahme für Osteuropa. Viele Müßiggänger entspannen sich wie ich auf dem viereckigen Marktplatz mit Rathaus in seiner Mitte, gebaut nach polnischer Städteplanung. Zahlreiche Cafés laden zum Verweilen ein. Ein greller rot-gelber Zug versucht lautstark, Touristen für eine Stadtrundfahrt zu begeistern.

Am Lemberger Markt (Rynok)
Am Lemberger Markt (Rynok)

Am Abend treffe ich Freunde, die ein Zimmer in einer Jugendherberge gebucht haben. Wir kehren in das Kellerrestaurant Kryjiwka ein - ein Muss für Touristen in Lemberg. Es ist im Stil eines Bunkers eingerichtet, in denen sich zu Weltkriegszeiten ukrainischen Nationalisten versteckten. Um rein zu kommen, muss man am Eingang erstmal die Parole wissen - „Slawa Ukraini“ (Ruhm der Ukraine!).

Meine Freunde erzählen mir von ihrer Ankunft in Lemberg und beklagen sich über ihre Unterkunft im Hostel. Trotz viel versprechenden Fotos auf der Internetseite wurden sie sehr enttäuscht: Zimmer ohne Fenster, ein Badezimmer für alle mit offenen Duschen und Badewannen(!!!), dubiose Männer stehen an der Rezeption und quatschen Personal und Gäste an. Und passend dazu hatten sie das Porträt der Mona Lisa an der Wand hängen! Aber nach ein paar Gläsern Horilka (ukrainischer Wodka) in der Kryjiwka ist das alles schnell vergessen.

Am nächsten Morgen beschließe ich auf den Lytschakiw-Friedhof zu gehen, wo viele große ukrainische Persönlichkeiten begraben sind, unter anderem Iwan Franko, ihr größter Schriftsteller im 19. Jahrhunderts. Den Friedhof zu finden, fällt nicht leicht. Nur die Straßenbahn Nummer 7 fährt hin, also muss ich erst in die Altstadt. In der Tram, die mit großem Krach ihre Ankunft ankündigt, kaufe ich meine Fahrkarte beim Fahrer, da man mir die aus irgendwelchem Grund am Fahrkartenkiosk verweigert hat. Hier ist es praktisch, man muss nicht sprechen, einfach die passende Summe durch den kleinen Schlitz reichen, und der Fahrer reicht Ihnen dann die Fahrkarte. Wichtig dabei: immer die passende Summe haben…

Die nächste Schwierigkeit: das Entwerten des Tickets. Zum Schluss nimmt sie mir eine Frau aus der Hand und entwertet sie für mich in dem getarnten Entwerter, den ich sowieso hätte nicht bedienen können, auch wenn ich ihn gesehen hätte. Was für eine Überraschung, als ich die Ankündigung meiner Haltestelle auf Englisch hörte! Zum Glück, denn wenn nicht, hätte ich die richtige Station verpaßt. 

Vor dem Friedhof stehen Taxen und polnische Busse für Touristen. Ich kenne nur wenige Persönlichkeiten, die hier begraben sind, aber ein Spaziergang im Herbst ist hier wirklich lohnenswert: knallrote, gelbe und orange Baumblätter säumen den Weg und die Gräber. Es regnen goldene Blätter aus den Bäumen.

Auf dem Lytschakiwfriedhof
Auf dem Lytschakiwfriedhof

Ich spaziere dann noch viel durch Lemberg, ohne die Lust am Schauen und Betrachten zu verlieren, denn es gibt hier soviel zu entdecken. Eine ruhige und geheimnisvolle Stimmung liegt über dieser Stadt. Die zahlreichen Cafés bieten dem müden Spaziergänger einen gemütlichen Ort, wo man stundenlang der melancholischen Musik der ukrainischen Band „Okean Elzy“, die ich hier entdeckt habe, zuhören kann.

Ich meide die Souvenirläden, die weniger interessante Produkte als auf dem Markt anbieten, den ich am ersten Tag entdeckt hatte. Auf dem Markt kann man ja auch die Preise feilschen, die Auswahl an traditionellen ukrainischen Blusen und Tischläufern, an Matrioschkas (russische Puppen) oder handgestrickten Wollsocken ist hier auch größer. 

Eine schöne rote Kette aus runden Holzperlen fällt mir auf, ich kaufe sie, damit sie mich noch lange an die Reize meiner Lembergreise erinnern wird.

Montag, 28. Oktober 2013

Archäologische Ausstellung im LVR Bonn über die Krim

Im LVR Landesmuseum Bonn läuft derzeit und noch bis zum 19. Januar 2014 die sehenswerte Ausstellung "Die Krim - Goldene Insel im Schwarzen Meer. Griechen - Skythen -Goten". In farblich getrennten Abteilungen berichtet sie über die Besiedlung der Krim durch die Griechen in der Antike, das Zusammenleben mit den Skythen, das Bosporanische Reich und die Ankunft der Goten in diesem Gebiet. In der Ausstellung durchschreiten Sie die Geschichte zwischen dem 2. Jh vor Christus und dem 4. Jh. nach Christus.

Wir haben diese Ausstellung selbst besucht und waren von den einzigartigen Exponaten, die man sonst in anderen Ausstellungen kaum zu sehen bekommt, ehrfürchtig beeindruckt. Einerseits konnten wir unser eigenes Geschichtsbild über Völkerwanderungen auf der Krim vervollständigen, andererseits hätten wir kaum eine derartige Fülle und Vielfalt von Grabungsfunden erwartet, da ja auch in der Ukraine beispielweise viele skytische Kurgane bereits durch Grabräuber geplündert wurden.

Wenn Sie sich also für altertümliche Schätze und Geschichte interessieren, können wir Sie nur zum Besuch dieser Ausstellung ermuntern. Darüber hinaus hat die alte Römerstadt Bonn natürlich noch viele andere Sehenwürdigkeiten zu bieten.

Griechische Vasen mit charakteristischem Kleeblattausguß.
Griechische Vasen mit charakteristischem Kleeblattausguß.


Skythischer Prunkhelm aus der heutigen Region Donezk. 4. Jahrhundert v. Chr.
Skythischer Prunkhelm aus der heutigen Region Donezk. 4. Jahrhundert v. Chr.

Eisernes Schwert mit goldenem Griff und Scheide. Aus einem skythischen Hügelgrab beim heutigen Dnipropetrowsk. 4. Jahrhundert v. Chr.
Eisernes Schwert mit goldenem Griff und Scheide. Aus einem skythischen Hügelgrab beim heutigen Dnipropetrowsk. 4. Jahrhundert v. Chr.

Kunstvoller Akrothen aus der griechischen Siedlung Chersones. 4. Jahrhundert v. Chr.
Kunstvoller Akrothen aus der griechischen Siedlung Chersones, im heutigen Sewastopol. 4. Jahrhundert v. Chr.

Grabstein des Megakles, Friedhof vor Chersones, 4. - 3. Jahrhundert v. Chr.
Grabstein des Megakles, Friedhof vor Chersones, 4. - 3. Jahrhundert v. Chr.

Adlerkopfschnallen als Teil der krimgotischen Frauentrachten 5.-6. Jahrhundert n. Chr., Fundorte Nikopol und Krim
Adlerkopfschnallen als Teil der krimgotischen Frauentrachten 5.-6. Jahrhundert n. Chr., Fundorte Nikopol und Krim

Fundstücke aus der Nekropole in Ust- Alma, Spätskytische Periode, 1. Jahrhundert n. Chr,
Fundstücke aus der Nekropole in Ust- Alma, Spätskytische Periode, 1. Jahrhundert n. Chr,

Grabinventar der spätskytischen Nekropole, 1. Jahrhundert n. Chr.
Grabinventar der spätskytischen Nekropole, 1. Jahrhundert n. Chr.

In der spätskytischen Phase übernahmen die Skyten griechische Traditionen, etwa das Bedecken von Mund und Augen Verstorbener mit feinen Goldplättchen.
In der spätskytischen Phase übernahmen die Skyten griechische Traditionen, etwa das Bedecken von Mund und Augen Verstorbener mit feinen Goldplättchen.

Inventar eines skytischen Grabhügels bei Magaratsch, 1. Jahrhundert n.Chr.
Inventar eines skytischen Grabhügels bei Magaratsch, 1. Jahrhundert n.Chr.

Spätskytische Grabbeigabe, Goldschmuck, Ust- Alma (bei Bachtschissaraj), 2 Jahrhundert n.Chr.
Spätskytische Grabbeigabe, Goldschmuck, Ust- Alma (bei Bachtschissaraj), 2 Jahrhundert n.Chr.

Ausgrabung eines spätskytischen Grabs bei Ust- Alma, 2. Jahrhundert n. Chr., mit markantem chinesischem Schmuckkästchen
Ausgrabung eines spätskytischen Grabs bei Ust- Alma, 1. Jahrhundert n. Chr., mit markantem chinesischem Schmuckkästchen

Weitere Ausgrabung einer spätskytischen Grablage bei Ust-Alma, 2. Jahrhundert n. Chr., auch hier unter Anzeige eines chinesischen Schmuckkästchens
Weitere Ausgrabung einer spätskytischen Grablage bei Ust-Alma, 1. Jahrhundert n. Chr., auch hier unter Lageanzeige eines chinesischen Schmuckkästchens

Replik des chinesischen Schmuckkästchens, das in der skytischen Gruft gefunden wurde
Replik des chinesischen Schmuckkästchens, das in der skytischen Gruft gefunden wurde 

Weitere Replik eines chinesischen Schmuckkästchens aus der skytischen Gruft in Ust Alma
Weitere Replik eines chinesischen Schmuckkästchens aus der skytischen Gruft in Ust Alma

Ausgrabungsfunde aus dem Grabungsfeld um die spätskytische Siedlung "Neapolis Skythike" bei Simferopol. Die Skythen übernahmen von den Griechen Elemente der Stadtplanung, der  Götterabbildungen und der Opfertraditionen.
Ausgrabungsfunde aus dem Grabungsfeld um die spätskytische Siedlung "Neapolis Skythike" bei Simferopol. Die Skythen übernahmen von den Griechen Elemente der Stadtplanung, der  Götterabbildungen und der Opfertraditionen.

Fischteller aus der griechischen Kolonie Pantikapeion am kimmerischen Bosporus, nahe dem heutigen Kertsch. Fisch und Getreide waren die Hauptertragszweige, die die Griechen hier reich machten.
Fischteller aus der griechischen Kolonie Pantikapeion am kimmerischen Bosporus, nahe dem heutigen Kertsch. Fisch und Getreide waren die Hauptertragszweige, die die Griechen hier reich machten.

Weitere Ausgrabungsstücke aus Pantikapeion.
Weitere Ausgrabungsstücke aus Pantikapeion.

Alltagsgegenstände aus der griechischen Siedlung Pantikapeion und von anderen Fundorten auf der Krim.
Alltagsgegenstände aus der griechischen Siedlung Pantikapeion und von anderen Fundorten auf der Krim.

Fundstücke aus dem Gebiet Mikolajew, die dem Bosporanischen Reich zugerechnet werden (ca. 1 Jh. v: Chr. bis 1. Jh. n. Chr)
Fundstücke aus dem Gebiet Mikolajew, die dem Bosporanischen Reich zugerechnet werden (ca. 1 Jh. v: Chr. bis 1. Jh. n. Chr)

Vergoldete Phaleren (Zierplatten) aus der Zeit des Bosporanischen Reiches (1. Jahrhundert n. Chr.), mit Tamgazeichen, den Clanzeichen der Steppennomaden
Vergoldete Phaleren (Zierplatten) aus der Zeit des Bosporanischen Reiches (1. Jahrhundert n. Chr.), mit Tamgazeichen, den Clanzeichen der Steppennomaden

Sarmatischer Flakon (1. Jahrhundert n.Chr.), Fund einer adeligen Frauenbestattung aus einem Kurgan (Grabhügel)
Sarmatischer Flakon (1. Jahrhundert n.Chr.), Fund einer adeligen Frauenbestattung aus einem Kurgan (Grabhügel)

Grabbeigaben einer Nekropole beim heutigen Druzhnoe, 3. Jahrhundert n. Chr.
Grabbeigaben einer Nekropole beim heutigen Druzhnoe, 3. Jahrhundert n. Chr.

Grabbeigaben aus der Nekropole bei Neisatz, 3. Jahrhundert n. Chr.
Grabbeigaben aus der Nekropole bei Neisatz, östlich des heutigen Simferopol, 3. Jahrhundert n. Chr.

Grabbeigaben aus der Nekropole bei Neisatz, östlich des heutigen Simferopol, 3. Jahrhundert n. Chr.
Grabbeigaben aus der Nekropole bei Neisatz, östlich des heutigen Simferopol, 3. Jahrhundert n. Chr.

Verschiedene Alltagsgegenstände als Grabbeigaben in der Nekropole Neisatz, 3. Jahrhundert n. Chr.
Verschiedene Alltagsgegenstände als Grabbeigaben in der Nekropole Neisatz, 3. Jahrhundert n. Chr.

Grabbeigaben aus einem Reitergrab aus der Nekropole von Suvluk Kaja aus dem 3. - 4. Jahrhundert n. Chr.
Grabbeigaben aus einem Reitergrab aus der Nekropole von Suvluk Kaja aus dem 3. - 4. Jahrhundert n. Chr., im nordöstlichen Teil des heutigen Bachtschissaraj, bemerkenswert sind die Herkünfte der einzelnen Waffen: teils lokal angefertigt, teils germanisch, teils hunnischer Herkunft