Mittwoch, 6. November 2013

Lemberg. Lviv, mon amour.


Das Opernhaus in Lemberg.
Das Opernhaus in Lemberg.

Es ist soweit - meine langersehnte Reise steht endlich vor der Tür ! Mein Gepäck ist gepackt, eingecheckt habe ich mich schon im Voraus übers Internet (Technik ist echt praktisch, muss man sagen! Man muss nicht mehr am Schalter Zeit vergeuden…). Bleibt mir nur noch, morgens pünktlich aufzustehen und in den Zug zum Flughafen einzusteigen. Hinter der Sicherheitskontrolle trinke ich noch einen Kaffee und setze mich gemütlich in den Wartebereich, bevor das Boarding für meinen Flug nach Lemberg beginnt.

Mit einer Stunde Verspätung bei meinem Zwischenstopp am Flughafen in München, wo unsere Maschine zu klein für einen Rollstuhl war, landen wir endlich in Lemberg. Zu meinem großen Erstaunen ist der Flughafen total neu, modern und übersichtlich von der Größe. Am Ausgang, wie in allen osteuropäischen Ländern, werden die Passagiere durch gierige Taxifahrer empfangen, die uns ihre überteuerten Preise anbieten.

Ich gehe erstmal Richtung Bankautomat. Der erste funktioniert natürlich nicht. Mit dem zweiten klappt das besser. Dann habe ich die Idee, durch den hinteren Ausgang einen Taxifahrer zu suchen. Ich konzentriere mich, um meine Russischkenntnisse aufzurufen. Der erste Taxifahrer ist in seinen Preisen überhaupt nicht flexibel, ich gehe weg. Ein anderer spricht mich an, mit dem ich mehr Erfolg habe. Und da sitze ich schon auf dem hinteren Sitz seines Autos und wir fahren in Richtung Altstadt! Wie stolz würde meine Russischlehrerin sein!

Mein Hotel hatte ich im Voraus schon gebucht, ich musste nur noch mein Gepäck im Zimmer abstellen und meine Erkundungstour durch Lemberg konnte beginnen. Das Hotel ist, nebenbei gesagt, total korrekt, sauber und den europäischen Maßstäben entsprechend. Das Personal war mir gegenüber sehr zuvorkommend. Am Empfang antwortet man mir erst auf Ukrainisch, holt dann aber schnell eine junge Frau, die ein bisschen Englisch spricht. Trotz allen Sprachschwierigkeiten versucht sie mir alles zu erklären, mir zu zeigen, wohin ich gehen muss und was ich mir alles anschauen muss. Einen Stadtplan könne sie mir leider nicht anbieten, gibt es im Hotel nicht, erklärt sie mir. Ich verlasse mich mal auf meinen Orientierungssinn und hoffe, er lässt mich nicht im Stich!... Ich darf mir ein Frühstück für morgen aussuchen. Zur Auswahl Eier in allen Formen, Kascha (Buchweizenbrei) mit Wurst, es gibt auch süße Sachen. Vielversprechend. Ich packe meine Sachen im Zimmer aus und verlasse das Hotel.

Auf dem Lemberger Markt (Rynok)
Auf dem Lemberger Markt (Rynok)

Ich gehe raus und was für ein Chaos erwartet mich da: Die Hauptstraße zwischen Hauptbahnhof und Altstadt ist völlig aufgewühlt, für Autos gesperrt. Ein „Bürgersteig“ existiert noch, zwar nicht asphaltiert und mit einem Hindernislauf vergleichbar, aber immerhin hat man an die Fußgänger gedacht. Hie und da muss man Holzbrücken überwinden, Backsteinhaufen erklimmen, tiefe Löcher vermeiden und sich an den strömenden Passanten vorbeischlängeln, die in entgegengesetzte Richtung eilen und Entgegenkommende und die Schwierigkeit des Weges ignorieren. Ich erfahre später im Hotel, dass diese Bauarbeiten die Stadt seit 4 Monaten blockieren. Im Zentrum angelangt sehe ich schon nicht mehr ganz ordentlich aus: staubige Schuhe, struppiges Haar… Ich setze mich auf eine Bank am Opernplatz, um ein bisschen Luft zu schnappen…

Ich hätte keinen besseren Platz finden für meine Rast können! Der Opernplatz erstreckt sich an einer mit Bäumen bepflanzten Allee. Von da aus kann man die Leute gut beobachten. Zwei Männer spielen Schach auf einer Bank, andere haben sich um sie versammelt und helfen den beiden still beim Überlegen…Alte Frauen sitzen auch, genauso erschöpft wie ich. Viele Liebespaare spazieren hier auch lang, manche mit Kind hinterher.

In der Lemberger Altstadt
In der Lemberger Altstadt

Ich entschließe mich, meine Tour fortzuführen und hole mir erst mal eine Eiswaffel, das wie ein Becher aussieht und auch so heißt: stakantschik (russisch für "Glässchen"). Dann bummele ich durch die verwinkelten Straßen, bis ich auf dem Marktplatz (Rynok) lande. Überall Kirchen, jede für eine andere Konfession: katholisch, dominikanisch, armenisch, griechisch-katholisch, orthodox, Synagogen gibt es natürlich auch…

Unterwegs treffe ich eine junge Frau, die mir eine Führung auf Englisch anbietet, dann werde ich aufgefordert, einen Adler auf den Arm zu nehmen zwecks Foto und zu meinem großen Erstaunen hakt sich plötzlich eine alte Dame bei mir ein. Ich soll sie bis nach Hause begleiten und ihre Taschen tragen, ihr sei schlecht.

Die ganze Altstadt ist eine Fußgängerzone - eine Ausnahme für Osteuropa. Viele Müßiggänger entspannen sich wie ich auf dem viereckigen Marktplatz mit Rathaus in seiner Mitte, gebaut nach polnischer Städteplanung. Zahlreiche Cafés laden zum Verweilen ein. Ein greller rot-gelber Zug versucht lautstark, Touristen für eine Stadtrundfahrt zu begeistern.

Am Lemberger Markt (Rynok)
Am Lemberger Markt (Rynok)

Am Abend treffe ich Freunde, die ein Zimmer in einer Jugendherberge gebucht haben. Wir kehren in das Kellerrestaurant Kryjiwka ein - ein Muss für Touristen in Lemberg. Es ist im Stil eines Bunkers eingerichtet, in denen sich zu Weltkriegszeiten ukrainischen Nationalisten versteckten. Um rein zu kommen, muss man am Eingang erstmal die Parole wissen - „Slawa Ukraini“ (Ruhm der Ukraine!).

Meine Freunde erzählen mir von ihrer Ankunft in Lemberg und beklagen sich über ihre Unterkunft im Hostel. Trotz viel versprechenden Fotos auf der Internetseite wurden sie sehr enttäuscht: Zimmer ohne Fenster, ein Badezimmer für alle mit offenen Duschen und Badewannen(!!!), dubiose Männer stehen an der Rezeption und quatschen Personal und Gäste an. Und passend dazu hatten sie das Porträt der Mona Lisa an der Wand hängen! Aber nach ein paar Gläsern Horilka (ukrainischer Wodka) in der Kryjiwka ist das alles schnell vergessen.

Am nächsten Morgen beschließe ich auf den Lytschakiw-Friedhof zu gehen, wo viele große ukrainische Persönlichkeiten begraben sind, unter anderem Iwan Franko, ihr größter Schriftsteller im 19. Jahrhunderts. Den Friedhof zu finden, fällt nicht leicht. Nur die Straßenbahn Nummer 7 fährt hin, also muss ich erst in die Altstadt. In der Tram, die mit großem Krach ihre Ankunft ankündigt, kaufe ich meine Fahrkarte beim Fahrer, da man mir die aus irgendwelchem Grund am Fahrkartenkiosk verweigert hat. Hier ist es praktisch, man muss nicht sprechen, einfach die passende Summe durch den kleinen Schlitz reichen, und der Fahrer reicht Ihnen dann die Fahrkarte. Wichtig dabei: immer die passende Summe haben…

Die nächste Schwierigkeit: das Entwerten des Tickets. Zum Schluss nimmt sie mir eine Frau aus der Hand und entwertet sie für mich in dem getarnten Entwerter, den ich sowieso hätte nicht bedienen können, auch wenn ich ihn gesehen hätte. Was für eine Überraschung, als ich die Ankündigung meiner Haltestelle auf Englisch hörte! Zum Glück, denn wenn nicht, hätte ich die richtige Station verpaßt. 

Vor dem Friedhof stehen Taxen und polnische Busse für Touristen. Ich kenne nur wenige Persönlichkeiten, die hier begraben sind, aber ein Spaziergang im Herbst ist hier wirklich lohnenswert: knallrote, gelbe und orange Baumblätter säumen den Weg und die Gräber. Es regnen goldene Blätter aus den Bäumen.

Auf dem Lytschakiwfriedhof
Auf dem Lytschakiwfriedhof

Ich spaziere dann noch viel durch Lemberg, ohne die Lust am Schauen und Betrachten zu verlieren, denn es gibt hier soviel zu entdecken. Eine ruhige und geheimnisvolle Stimmung liegt über dieser Stadt. Die zahlreichen Cafés bieten dem müden Spaziergänger einen gemütlichen Ort, wo man stundenlang der melancholischen Musik der ukrainischen Band „Okean Elzy“, die ich hier entdeckt habe, zuhören kann.

Ich meide die Souvenirläden, die weniger interessante Produkte als auf dem Markt anbieten, den ich am ersten Tag entdeckt hatte. Auf dem Markt kann man ja auch die Preise feilschen, die Auswahl an traditionellen ukrainischen Blusen und Tischläufern, an Matrioschkas (russische Puppen) oder handgestrickten Wollsocken ist hier auch größer. 

Eine schöne rote Kette aus runden Holzperlen fällt mir auf, ich kaufe sie, damit sie mich noch lange an die Reize meiner Lembergreise erinnern wird.

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